Rede zum Petitionsbericht 2023
Jedes Jahr findet kurz vor der parlamentarischen Sommerpause eine Debatte zur Tätigkeit des Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages statt. Petitionen sind gelebte Demokratie, Engagement, politische Teilhabe. Zwei Petitionen aus meiner Heimat haben mich besonders bewegt.
Meine Rede vom 27. Juni 2024 im Wortlaut:
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger!
Die Wahlergebnisse der Europawahl und der Kommunalwahlen waren eindeutig. In meinem Landkreis erreichten antidemokratische Kräfte mehr als 30 Prozent. Viele fragen sich: Wie steht es um die Demokratie in Ostdeutschland? Was sind die Gründe? Gibt es noch Hoffnung? Für mich ist klar: Wir müssen zeigen, dass wir verstanden haben. Die Wünsche des ländlichen Raumes müssen mehr Beachtung finden.
Damit kommen wir zum heutigen Petitionsbericht, weil er Lehren und Lösungsmöglichkeiten für uns bereithält. Denn dass es 2023 8 Prozent mehr Petitionen aus Mecklenburg-Vorpommern gab, zeigt mir: Sie ist noch da, die Hoffnung auf unsere demokratische Kultur, auch in Ostdeutschland. Wer sich auf den Weg macht, über das Petitionswesen des Bundestages ein Anliegen an die Politik zu richten, der glaubt an die Chance auf positive Veränderung, der setzt noch Hoffnung in die parlamentarische Demokratie. Über diese mit Petitionen verbundene Hoffnung, aber auch über die Grenzen möchte ich anhand von zwei Petitionen aus meinem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern sprechen.
Dabei muss man verstehen, dass hinter Petitionen auch immer wichtige Anliegen für Regionen und ein ganzes Bundesland stehen können. Eine dieser Petitionen – sie ist schon angesprochen worden –, von 95 000 Menschen mitgezeichnet, ist die Petition gegen ein LNG-Terminal auf der Insel Rügen. Die Bundesregierung will das LNG-Terminal zur Sicherung der Energieversorgung, die Unterstützer/-innen der Petition verweisen auf ökologische Konsequenzen von zusätzlicher LNG-Infrastruktur und die konkreten Einschnitte vor Ort durch Lärm und für Naturschutz und Tourismus: ein schwer aufzulösender Konflikt. Um es kurz zu machen: Die Petition konnte das Terminal nicht verhindern. Aber sie gab den Gegnern des Terminals eine Stimme hier in Berlin, und es gelang ein kleiner Achtungserfolg:
Die Bundesregierung hat versprochen, die Bahnverbindung von Berlin über Stralsund nach Binz, die sogenannte Vorpommern-Magistrale, endlich auszubauen, um so auch den Tourismus zu stärken, ein lang gehegter Wunsch vieler Menschen auf der Insel und im nördlichen Vorpommern. Aber aktuell steht genau diese Zusage an die Region wieder auf der Kippe. Die geplanten Kürzungen für den Haushalt 2025 gefährden den Ausbau, weil nicht genügend Geld für die Bahninfrastruktur zur Verfügung steht. Um es klar zu sagen: Ich erwarte, dass das Versprechen eingehalten wird und die Deutsche Bahn dieses auch umsetzt; sonst droht Enttäuschung, wo Akzeptanz möglich gewesen wäre.
Ähnliches gilt für eine andere Petition, die wir im letzten Jahr mit dem höchsten Votum verabschiedet haben. Knapp 120 000 Menschen haben ihre Unterstützung für eine Petition gegeben, die fordert, die medizinische Versorgung für sehr kleine Frühgeborene auch im ländlichen Raum abzusichern. Die Petition wurde von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Dietrich-Bonhoeffer-Klinikums in Neubrandenburg eingereicht. Der Neubrandenburger Klinik wurde 2023 die Behandlung von sehr kleinen Frühchen mit einem Geburtsgewicht von unter 1 250 Gramm versagt. Die Klinik hat die vom politisch unabhängigen Gemeinsamen Bundesausschuss festgesetzte Mindestmenge an Fällen pro Jahr für die Behandlung von sehr kleinen Frühchen nicht erfüllt und musste deshalb die dafür spezialisierte Station, ihr Perinatalzentrum Level 1, schließen – ein Thema, das viele ländliche Regionen in Deutschland, insbesondere in Ostdeutschland, betrifft. Diese Petition aus Neubrandenburg hat im letzten Jahr viel angestoßen: öffentliche Anhörung, ein parlamentarischer Abend, Berichterstattergespräche. All das hätte es ohne die Petition nicht gegeben.
Aber obwohl die Petition einstimmig mit dem höchsten Votum im Petitionsausschuss verabschiedet wurde und obwohl in der Diskussion um die Petition ein möglicher Kompromiss mit den beteiligten Fachgesellschaften entwickelt wurde, hat der politisch unabhängige Gemeinsame Bundesausschuss sich dem konstruktiven Impuls der Petition bisher verweigert, wohlgemerkt gegen die Empfehlung der Fachgesellschaften. Die Menschen in Neubrandenburg und an der Mecklenburgischen Seenplatte haben gehofft, dass sie gehört werden. Genauso wie fast 1,6 Millionen Menschen, die im letzten Jahr Petitionen an den Deutschen Bundestag unterstützt haben, haben sie weiterhin Hoffnung: Hoffnung in unser demokratisches System, Hoffnung, dass wir auch noch für die Petition aus Neubrandenburg eine Lösung finden.
Und da ist ein Hoffnungsschimmer: Es wurde eine Evaluation der Regelung in Auftrag gegeben. Ein Zwischenbericht soll im Februar 2025 vorliegen. Es gibt also noch Hoffnung, und für diese Hoffnung werden wir weiter kämpfen. Danke schön.