Persönliche Erklärung zur Abstimmung über die Wahlrechtsreform
Berlin, 16. März 2023
Die heutige Abstimmung über das Bundeswahlgesetz soll in seiner Konsequenz den Bundestag verkleinern und seine Größe auf 630 Abgeordneten festlegen. Ich teile das Ziel der Verkleinerung, kann aber dem konkreten Vorschlag aus mehreren Gründen nicht zustimmen.
Erstens, die Reform entwertet die Möglichkeit der direkten Wahl von Abgeordneten in den Regionen und gefährdet die direkte Repräsentation von ganzen Regionen. So ist die Gefahr sehr groß, dass der Landesteil Vorpommern in meinem Bundesland zukünftig nicht mehr direkt im Bundestag repräsentiert wird. Ob es noch eine indirekte Repräsentation von Vorpommern gibt, ist dann zukünftig abhängig von Kandidierendenlisten der Parteien. Die Bürgerinnen und Bürger haben hierauf keinen direkten Einfluss mehr. Es droht der Verlust der direkten Repräsentation von ganzen Regionen im Deutschen Bundestag. Dieser Effekt benachteiligt insbesondere ländliche Regionen mit umkämpften Wahlkreisen und könnte die Vertretung des ländlichen Raumes im Bundestag weiter verringern. Ich sehe hier eine große Gefahr, weil antidemokratische Kräfte von dieser Entwicklung profitieren könnten.
Zweitens, die Reform wird leider nicht von allen demokratischen Fraktionen und Parteien getragen. Aus meiner Sicht sollte eine Änderung des Wahlrechtes immer von einer breiten parlamentarischen und gesellschaftlichen Mehrheit getragen werden. Insbesondere wenn es sich um umfassende Änderungen handelt, wäre eine Zweidrittelmehrheit wünschenswert. Bei grundlegenden Änderungen des Wahlrechtes mit knappen Mehrheiten besteht die Gefahr, dass das Wahlrecht zum Teil der tagespolitischen Auseinandersetzung wird und so viel stärker politisiert wird. Ein Beispiel für eine solche Entwicklung ist die USA. Hier unternimmt insbesondere die republikanische Partei durch Neueinteilungen von Wahlkreisen, das sogenannte Gerrymandering, den Versuch, die Wahlchancen zu ihren Gunsten zu verändern. Hierdurch werden insbesondere marginalisierte Gruppen von institutioneller politischer Repräsentation ausgeschlossen.
Drittens, der Beschluss der Reform könnte unbeabsichtigte Konsequenzen haben, die leider bisher kaum diskutiert worden sind. So wird die Nichtzuteilung von Direktmandaten zu Schwierigkeiten bei der Gewinnung von Kandidierenden führen, da selbst eine erfolgreiche Direktwahl keinen Einzug in den Bundestag sichert. Dadurch steigt der Anreiz auf eine Direktkandidatur zu verzichten. Dies kann die Wahrscheinlichkeit für den Wahlerfolg von parteiunabhängigen Direktkandidierenden erhöhen. Diese würden als „echte“ Überhangmandate eine Abweichung der Zusammensetzung des Bundestages vom Zweitstimmenergebnis bewirken, d.h. den Charakter der Wahl als Verhältniswahl unterlaufen.
Es muss festgehalten werden, dass die Blockade der CDU/CSU-Fraktion in den letzten Wahlperioden einer der wichtigsten Auslöser für die aktuelle Lage ist und eine Wahlrechtsreform und Verkleinerung des Deutschen Bundestages notwendig ist. Trotzdem überwiegen für mich in der Abwägung die Nachteile und Gefahren des Gesetzentwurfes. Aus meiner Sicht wäre eine Reduzierung der Anzahl von Wahlkreisen mit Einbeziehung eines Flächenfaktors die bessere Alternative. Sie würde den Charakter der Wahl als personalisierte Verhältniswahl sichern und würde die direkte Repräsentation aller Regionen im Bundestag sichern. Ich lehne den vorliegenden Gesetzentwurf aus diesen Gründen ab.